Eigenbedarf in Großstädten

Wenn Wohnen zur Existenzfrage wird

In den Metropolen Deutschlands herrscht seit Jahren ein angespannter Wohnungsmarkt. Ob in Berlin, Hamburg, München oder Frankfurt – bezahlbarer Wohnraum ist zur Mangelware geworden. Wer eine Wohnung hat, klammert sich an sie. Doch selbst das bietet keine Garantie auf Sicherheit. Immer häufiger werden Mieter mit Eigenbedarfskündigungen konfrontiert – und geraten dadurch in existenzielle Krisen.

Was bedeutet Eigenbedarf eigentlich?

Der Begriff Eigenbedarf beschreibt das Recht des Vermieters, eine vermietete Wohnung selbst zu nutzen oder sie für nahe Angehörige zu beanspruchen. Gesetzlich geregelt ist dies in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB.
Die Voraussetzung: Der Vermieter muss ein berechtigtes Interesse an der Nutzung haben – beispielsweise für sich selbst, seine Kinder, Eltern oder Lebenspartner.

Klingt zunächst nachvollziehbar. Doch in der Praxis ist der Eigenbedarf längst zu einem Instrument des Verdrängungsmarktes geworden.

Die Realität in Großstädten

In Städten wie Berlin oder München sind Mieten in den letzten Jahren regelrecht explodiert. Viele Vermieter erkennen darin eine lukrative Gelegenheit:
Mit einer Eigenbedarfskündigung lassen sich langjährige Mieter mit alten, günstigen Verträgen aus der Wohnung drängen – um sie danach zu modernisieren oder zu deutlich höheren Preisen neu zu vermieten.

Zwar ist das rechtlich nicht erlaubt, wenn der Eigenbedarf nur vorgeschoben ist, doch der Nachweis von Missbrauch ist für Mieter schwer zu führen. Selbst wenn ein Gericht am Ende zugunsten des Mieters entscheidet, ist der Schaden meist schon entstanden: Wohnung weg, neue Bleibe unbezahlbar.

Sozialer Sprengstoff

Gerade in Großstädten trifft die Eigenbedarfskündigung oft Menschen, die ohnehin am Limit leben – Familien, Rentner oder Alleinerziehende. Die Suche nach Ersatzwohnraum endet häufig in Verzweiflung.

In Berlin etwa übersteigt die Nachfrage das Angebot um ein Vielfaches. Wer aus einer bezahlbaren Wohnung verdrängt wird, findet kaum eine neue – oder nur weit außerhalb der Stadt. Damit geht nicht nur der Wohnraum verloren, sondern auch das soziale Umfeld, der Arbeitsplatz in erreichbarer Nähe, die Schule der Kinder.

Das Resultat: soziale Entwurzelung.

Wenn das Gesetz an seine Grenzen stößt

Zwar gibt es rechtliche Schutzmechanismen – etwa Widerspruchsmöglichkeiten nach § 574 BGB, wenn ein Umzug für den Mieter eine besondere Härte bedeuten würde. Doch auch diese Klauseln greifen in der Praxis selten.
Gerichte entscheiden oft zugunsten des Eigentümers, solange der Eigenbedarf nachvollziehbar dargelegt ist. Die Folge: ein strukturelles Ungleichgewicht zwischen Eigentum und Mietrecht.

Lösungsansätze – oder doch nur politische Symbolik?

Politiker fordern immer wieder Nachbesserungen: strengere Prüfung von Eigenbedarf, längere Kündigungsfristen, mehr sozialer Wohnungsbau.
Doch solange der Wohnungsmarkt insgesamt überhitzt bleibt, sind solche Maßnahmen nur Pflaster auf einer offenen Wunde.

Langfristig kann nur eine konsequente Wohnungspolitik mit Fokus auf Gemeinwohlorientierung helfen – etwa durch:

  • Ausbau des sozialen und genossenschaftlichen Wohnungsbaus

  • Begrenzung von spekulativem Leerstand

  • Bessere Kontrolle und Sanktionierung bei Missbrauch von Eigenbedarf

Fazit

Der Eigenbedarf ist ein legitimes Recht – doch in Großstädten hat er sich zu einem sozialen Sprengsatz entwickelt. Für viele Mieter bedeutet er den Verlust von Heimat, Sicherheit und Lebensqualität.
Solange Wohnen in Deutschland primär als Ware und nicht als Grundrecht behandelt wird, bleibt jede Eigenbedarfskündigung ein Symbol dafür, dass unser System auf dem Rücken der Schwächsten funktioniert.

Weiter
Weiter

Top‑Stadt je Bundesland